Erläuterungen zum Bild „Selbstbildnis 1990“

   47 x 100 cm       30.9.1990

Das Jahr 1990 war ein Katastrophenjahr. Nach Ende der Beziehung zu Bo im Herbst 1989 und etlichen monatelangen Bemühungen einer Wiederannäherung hatte ich am 10.07.1990 während einer bodenkundlichen Vorexkursion nach Oberhessen nördlich Kirtorf  den  südlichen Waldrand der Abt. 5, die zum Waldgebiet „Lichtspitze“ gehört und  zwischen der Straße nach Gleimenhain und der nach Arnshain liegt, aufgesucht und einen verkohlten Fichtenstammrest gefunden, der mir hervorragend geeignet erschien, meinen verzweifelten Zustand darzustellen. Der Waldrand war mir deshalb von Bedeutung, weil wir dort am 26.04.1989, also etwa 4 Jahre zuvor (gleichzeitig  ein historischer Tag, an dem ein Block des Atomkraftwerks  Tschernobyl explodierte), die erste Rast  während eines Ausflugs in meine oberhessische Heimat eingelegt hatten. Offenbar war ich noch immer in einem Zustand ähnlich dem von Beuys nach Weihnachten 1954, als ihm seine Freundin den Verlobungsring zurückgeschickt hatte, und er mehrere Jahre lang mit schweren Depressionen belastet war (H.STACHELHAUS: Joseph Beuys.- Heyne Sachbuch 45, 224 S. (S. 63-70); (Heyne) Düsseldorf 1990; R. ERMEN: Joseph Beuys.- rm 50623, 157 S. (S. 40, 41); (Rowohlt) Hamburg 2007).

Die glänzende Ritterrüstung war einem verkohlten, einem zu fast nichts mehr tauglich scheinenden Holzstück gewichen, was nutzlos und unbeachtet zwischen den nach einem Windbruch noch stehengebliebenen Altfichten  herumlag. In dem „Selbstbildnis 1990“ wollte ich Trauer und Einsamkeit  stärker zum Ausdruck bringen, als es V. van Gogh genau 100 Jahre zuvor in seinem Ölbild „Weizenfeld mit Raben“ dargestellt und in seinem Brief (Nr.630, Juli 1890) beschrieben hatte: „ Es sind grenzenlos ausgestreckte Felder unter wolkigem Himmel, und es fällt mir schwer, darin meine ganze Traurigkeit auszudrücken, die äußerste Einsamkeit“ (J. G. van GOGH-BONGERS (Hrsg.): van Gogh Briefe.- it 954, 3.Bd., 716 S. (S. 656); (Insel) Frankfurt am Main 1988).

Trostlose Schwärze,  eintönige Struktur und  das übergreifend Verkohlte  schienen mir als Mittel zur Darstellung geeignet genug, meinen Zustand darzulegen. Hinzu kommt, dass das Wort Verkohlung im  Sprachgebrauch doppeldeutig ist. Bo hatte Anfang Juli 1990 geheiratet,  es mir  aber erst  einige Monate später während  einer  Besichtigung des Heidelberger Schlosses gestanden, ich wusste  es jedoch  schon lange zuvor durch eine Information  einer früheren Arbeitsstelle in Frankfurt. Die Verkohlung weist auch auf die Tatsache hin, dass bei den Aufräumarbeiten nach einem Sturm oder Orkan, aber auch bei dem winterlichen Abtrieb von Altholz,  Stammreste oft verbrannt werden, um die neu  anzulegende Nutzfläche vom unbrauchbaren Abfall zu säubern. Was allerdings wenige wissen: Holzkohle hat den Vorteil, dass sie über Jahrzehnte  und Jahrhunderte, ja sogar über 40 -70 Jahrtausende, auf und in  Böden  und/oder in Gräbern, Schwemmsedimenten und Gesteinsschutt verbleiben kann, und -- falls notwendig -- bei wissenschaftlichen Ausgrabungen der Bodenkundler, Prähistoriker, Geomorphologen, Historiker, Paläoanthropomorphologen und Kunstgeschichtler zur Holzart- und Altersbestimmung eingesetzt wird, um Zeugnis über die ehemalige Lebens- und Umweltsituation abzulegen,  während vieles andere, weniger verwitterungsresistente,  vormals wichtig erscheinende, vergangen und dadurch verschwunden ist.

Der Fall der unvollständigen Verbrennung, d.h. des verkohlten, fast völlig verbrannten Holzes, weist auf das Überstehen und Überleben, auf den metaphorisch durchaus brauchbaren, aber schon peinlich oft und deshalb hier nur zögerlich genannten Prozess der „Läuterung durch Feuer“ hin, der sowohl gerne  in  Wissenschaften wie Künsten als auch in volksnahen Darbietungen an den  Beispielen von Lehm und Ziegel, Kohle und Diamant, Eisen und Stahl, Sand und Glas, Ton und Porzellan vorgeführt wird, den aber Gestalten im Umfeld von Forschern, Entdeckern, Wissenschaftlern oder Künstlern, seien es Verwandte, Freunde oder Bekannte, Angeheiratete oder Verlobte, Vorgesetze oder Mitarbeiter, Experten oder Laien, Minister oder Behörden , in ihrem bourgeoisen Alltagstrott oftmals übersehen, diese dadurch -- man möchte es fast schadenfroh Bestrafung nennen -- mehr oder weniger bedeutungslos als kurzzeitige Randfiguren oder Wegbegleiter in Erscheinung treten und dann in der historischen Versenkung verschwinden (falls sie nicht später, mehr oder weniger bedeutungsvoll dargestellt, durch Forscher, Kritiker, Schriftsteller, Redakteure und Moderatoren, zufällig oder beabsichtigt wieder ans Tageslicht gefördert werden).