Erläuterungen zum Bild „Mutter kann alles“

  30 x 54 cm                3.3.2000

Der Mittelteil ist ein hölzerner Krauthobel mit 2 schrägstehenden Stahlmessern, Erbstück meiner Mutter aus dem Haus ihrer Großeltern, die in Birklar (bei Lich, Oberhessen) einen Bauernhof besaßen. Auf diesem wuchs meine Mutter auf, von einer jungen Schwester ihres Vaters betreut, nachdem ihre Mutter 1906 nach der Geburt  des Bruders infolge falscher Behandlung durch die Hebamme an „Kindbettfieber“ gestorben war. Das Hobelbrett diente meiner Mutter von ihrer Heirat an (1927) und begleitete mich in alle Wohnorte.  In Gleimenhain, Nackenheim und Dexheim hatten meine Eltern einen Schulgarten, der u. a. mit Rot- und Weißkohl bepflanzt war. Vor allem in den Kriegs- und Nachkriegshungerjahren wurde Sauerkraut hergestellt, das man in großen braunen Töpfen („irden Geschirr“), mit einem Pflasterstein beschwert, im Keller aufbewahrte. 1943 wurde mein Vater zur Wehrmacht, mein Bruder als Flakhelfer eingezogen, so dass ich gelegentlich die Krautköpfe zerkleinern „durfte“.

Das Hobelbrett, das ich nach 1993 jahrelang in meiner Küche aufgehängt hatte, erinnerte mich nach den Besuchen  von Santorin und Kreta in seiner Form an die am stärksten abstrahierten, marmornen, bronze- und jungsteinzeitlichen Idole der Kykladen, durch die beiden Messer an die weniger abstrahierten Statuetten, von Fachleuten „Idole mit verschränkten Armen“ genannt (BADISCHES LANDESMUSEUM KARLSRUHE:(Hrsg.): Kunst und Kultur der Kykladeninseln im 3. Jahrtausend.- 506 S., Karlsruhe 1976).

Die oben rechts und links angebrachten Wildkaninchenschädel wurden von 1968 an während der Wanderungen, bodenkundlichen Praktika und Exkursionen in Rheinhessen aufgesammelt. Man findet sie  in den mehr oder weniger undurchdringlichen, mit Schwarzdorn, Heckenrose, Hartriegel und Holunder bewachsenen „Rechen“ (Rainen), besonders, wenn Boden und Untergrund aus Mergel, Sand oder Löss bestehen. Sie sollen an die vielen „Stallhasen“ (Hauskaninchen) erinnern, die wir in „Ställen“ während der Kriegs- und Nachkriegszeit hielten. Diese ähnelten über- und nebeneinander gestapelten Kisten  und  waren mit abschließbaren Holztüren (Holzrahmen mit feinem Maschendraht) gesichert. Ich sorgte bei fast täglichen Streifzügen in die Umgebung, mit Sack, Messer und Sichel ausgestattet, für „Hasenfutter“, meine Mutter mit den spärlichen Küchenresten für ergänzende Nahrung. In benachbarten Schulsälen lebende russische Gefangene versorgten uns im Tausch gegen Tabak und Zigarren (die Zuteilungen meines Vaters) eimerweise mit Schalen gekochter Kartoffeln, die die Kaninchen gerne fraßen.  Manche Tiere wurden mit Namen gerufen, manche -- weil die Kaninchenmutter an „Kolik“ oder vermutlich an mit Spritzmittel belastetem Futter gestorben war -- mit Hilfe dünner, langer Schläuche der Fahrradventile mit Milch großgezogen, was meistens die Arbeit meiner Mutter war. Ich musste während des Krieges, 10 - 13 Jahre alt, die Kaninchen schlachten und ihnen das Fell abziehen (das mit Stroh ausgestopft, getrocknet und verkauft wurde), aber auch in den Jahren nach dem Krieg, weil mein Vater und mein Bruder diese Technik nicht beherrschten.    

 Meine Mutter bildete sozusagen das Zentrum der Familie, wenn es um die Fleischversorgung ging, nicht nur mit Kaninchen, sondern auch mit Hühnern und gelegentlich mit Enten und Gänsen, die tagsüber in  mit grobem Maschendraht überdeckten (wegen der Raubvögel) und begrenzten Drahtkäfigen lebten,  nachts in Ställe aus Backsteinen (wegen der Marder, Füchse und Diebe) gesperrt  wurden. Trotzdem wurden uns einmal in Nackenheim  alle Hühner, in  Dexheim fast alle Kaninchen gestohlen, nur eins konnte entkommen, kam aber aus dem Garten zurück, als meine Mutter laut weinend das Unglück beklagte.

Meine Mutter war nicht nur für Haushalt, Wäschetage, Tierhaltung, Gemüse- und Obsternten zuständig, sondern auch für die Kleiderversorgung. Kleider meines am 11.8.1945 gestorbenen Bruders wurden gegen Brot,  Getreide und Kartoffeln eingetauscht,  alte Jacken, Mäntel, Hosen und Hemden vom Vater oder älterem Bruder oder von oberhessischen Verwandten wurden mit der Hand oder mit der Singer-Nähmaschine, von Hand und Fuß betrieben, umgeändert, so dass ich über die Währungsreform (21.6.1948) hinaus bis zu Beginn des Studiums (1951) mit Kleidung versorgt war. An alle hier genannten, aber auch an die vielen ungenannten Fürsorgen, wenn es um Krankheiten, Verletzungen, Schule, Wohnungsheizung (morgens um halb sechs wurde man von ihr durch das laute Ascherütteln in den Öfen geweckt) oder um die zig im  Schulkeller verbrachten Bombennächte geht, sollte das Materialbild erinnern.