|
Erläuterungen zum Bild „Ich mache mich auf den Weg“
33,5 x 54,5 cm 28.11.1994
Wie
bereits in „Wenn ich stark bin“ geschildert, befand ich mich im Herbst 1994 in
einer desaströsen Situation, die etwa so einzuschätzen war, wie sie ein
mongolisches Sprichwort beschreibt: “Der Frosch, der im Brunnen lebt, beurteilt
das Ausmaß des Himmels nach dem Brunnenrand“ (G. v. TURNITZ (Hrsg.): Asiatische
Weisheiten.- 77S. (S. 60);(Heyne) München 1978). Es galt nun, Kräfte zu
mobilisieren, um diesen Zustand zu ändern. Bei einem der vielen Spaziergänge im
Rheingau fand ich zwischen Niederwalluf und Eltville am Rheinufer, das bei
Niedrigwasser weit in das Flussbett hineinreicht, eine Stahlplatte, die mich in
der Seitenansicht an einen griechischen Krieger mit korinthischem Helm (kataityx)
(BROCKHAUS ENZYKLOPÄDIE 1969) erinnerte, wobei auf der linken Seite des
Helms die Nasenspange angedeutet ist. Dreht man das Fundstück um 180°, erkennt
man unschwer ein Bein mit Hose und Schuh, das nach rechts ausgerichtet ist. Die Platte muss
Jahrzehnte im Wasser gelegen haben, denn sie war mit einer 2-3 mm dicken (glücklicherweise
und völlig unüblich) plattigen Rostschicht bedeckt, die sich leicht mit dem
Hammer abklopfen ließ, so dass der blanke Stahl zum Vorschein kam, zur Hälfte
überzogen mit rostigen Narben.
Der
behelmte, vor Angriffen geschützte Kopf ist also größtenteils erfüllt mit der
Aufforderung, sich auf den Weg zu machen. Unterstützt wurde diese Überlegung --
ich sammle seit Jahren Sprichwörter und Aphorismen (vor allem Ebner-Eschenbach,
Epiktet, Epikur, Goethe, La Rochefoucauld, Marc Aurel, Montaigne, Montesquieu,
Lichtenberg, Nietzsche, Schopenhauer, Seneca, Vauvenargues) -- von Goethe mit dem Hinweis: „Seinen eigenen Weg zu verfolgen, bleibt immer das Vorteilhafteste:
denn dieser hat das Glückliche, uns von Irrwegen wieder auf uns selbst
zurückzuführen“ (J.HOFMILLER: Goethes Lebensweisheit.-78 S. (S.22); (Langen-G. Müller)
München 1940).
Dass
der Weg außergewöhnlich schwer sein würde, war mir bewusst, zumal ich keine
Verbindungen zu Galeristen, Museen oder anderen Künstlern hatte, und die
Beziehungen zu den „guten alten Freunden“ verkümmert waren. Hier galt, da diese
in mehr oder weniger trauter Zweisamkeit zusammen lebten, das treffende Bonmot
von Françoise Sagan: “Viele, von denen man glaubt, sie seien gestorben, sind bloß
verheiratet“ (Postkarte Postart-Verlag). Treffen wurden auch von meiner Seite
nicht forciert, nachdem ich schon seit
langem festgestellt hatte, dass das Umfeld bei Klee, Nolde und Marc,
Kalenderbildern und Kaufhaus-Zimmerschmuck zurückgeblieben war. Wieder war
Goethe mit einer passenden Bemerkung zur Stelle: „Alte Freunde muss man nicht
wiedersehen, man versteht sich nicht mehr mit ihnen, jeder hat eine andere
Sprache bekommen. Wem es Ernst um seine innere Kultur ist, hüte sich davor:
denn der alsdann hervortretende Missklang kann nur störend auf uns einwirken,
und man trübt sich das reine Bild des früheren Verhältnisses“ (zu F. v. Müller,
Dezember 1824; in J.HOFMILLER, S.54, s. o.)
„Ich
mache mich auf den Weg“ wurde nun insofern umgesetzt, dass ich meinen
bevorzugten Neigungen nachging: häufige und längere Wanderungen, verbunden mit
der „Jagd“ nach fotografischen Motiven und objets trouvés; öfters Besuche von
Bücher-, Mineralien-, Floh- und Antikmärkten; vermehrt Kauf von Büchern,
besonders mit den Themen Paläoanthropologie, Kriegsgeschichte, Astrophysik,
Vorgeschichte und Kunst; Suche nach vorgeschichtlichen Siedlungsplätzen in der
Wetterau, im Knüll, in Rhein- und Oberhessen, nach Nuggets in den Seitentälern
der Mosel; Gelee- und Marmeladekochen (bis zu 23 Sorten), vor allem mit
Früchten aus dem Garten und aus rheinhessischen Wildkirschen; Kauf eines
Metalldetektors in Soest (25.4.1995) wegen der Suche nach Resten des am
8.11.1944 bei Lörzweiler bruchgelandeten 4motorigen US-Bombers, einer
„Fliegenden Festung“ (s. Bildbeschreibung „Hieronymus im Gehäus“).
Wie
die folgenden Jahre zeigten, war diese Lebensart --weil unvollständig-- nicht
durchzustehen. Der dänische Schriftsteller M. BIRBAEK hat es mit seinem
Romantitel auf den Punkt gebracht: “Was mich fertigmacht, ist nicht das Leben,
sondern die Tage dazwischen“.- (Rütten & Loenig) Berlin 1997). Der Grund
lag einfach darin, dass die soziale Komponente des genetischen Korsetts zu sehr
ausgespart blieb. Das zuvor Gepflegte musste also erneut korrigiert werden, der
Rat von GOETHE, der mitten in einer geselligen Literatur- und Theaterwelt
gelebt hatte, war weniger gut als erhofft durchführbar, so dass man nach einem neuen Ausschau halten musste:“ Der
wunderbarste Irrtum ist aber derjenige, der sich auf uns selbst und unsere Kräfte
bezieht, dass wir uns einem würdigen ehrsamen Unternehmen widmen, dem wir nicht
gewachsen sind, dass wir nach einem Ziel streben, das wir nie erreichen können.
Die daraus entspringende Tantalisch-Sisyphische Qual empfindet jeder nur desto
bitterer, je redlicher er es meinte. Und doch sehr oft, wenn wir uns von dem
Beabsichtigten für ewig getrennt sehen, haben wir schon auf unserem Wege
irgendein anderes Wünschenswertes gefunden, etwas uns Gemäßes, mit dem uns zu
begnügen wir eigentlich geboren sind“ (J. HECKER: J. W. v. GOETHE: Maximen und
Reflexionen.- Aus Kunst und Altertum, Zweiten Bandes drittes Heft, 1820,
Bedenklichstes.- 284 S (S. 14); (Zähringer) Freiburg i. Br. 1949). Damit konnte
ich mich fürs Erste zufriedengeben.
|