Erläuterungen zum Bild „Das Jüngste Gericht“

   41,5 x 46,5 cm       15.10.1994

„Das Jüngste Gericht“ ist als Mittelstück (Schrein) eines 5teiligen Altarbildes gedacht, wobei der linke Seitenflügel von „Wenn ich stark bin“, der rechte von „Ich mache mich auf den Weg“ eingenommen werden soll. Den Aufsatz (Gesprenge) bildet dann „Phoenix trifft Charon“, den Untersatz (Predella) „Arbeite im Weinberg des Herrn“.

Im Frühjahr 1991 (26.4.) zeigte mir Laura, die ich im Winter (15.2.) kennen gelernt hatte, im Flur ihres Elternhauses eine Wasserfarben(Ölkreide?)-Kopie von Kandinskys „Impression III (Konzert)“. Sie hatte sie am Ende ihrer Schulzeit als Arbeit für den Kunstunterricht angefertigt. Ich war von dem Bild so begeistert, dass ich mich fortan mit KANDINSKY beschäftigte und in Murnau zwischen 1994 und 1996 dreimal einen Kurzurlaub verbrachte, um ihn und sein Umfeld besser beurteilen zu können (1.-4.4.1994, 30.4.-8.5.1994, 25.3.-54.1996). Während des letzten Aufenthalts besuchte ich die Städtische Galerie im Lenbachhaus in München und entdeckte dort eins meiner seitdem bevorzugten Ölbilder, die „Improvisation 19 (Blauer Klang)“, welche die  Anregung zum vorliegenden Materialbild wurde.

Im Juli 1994 fand ich während eines Bodenkunde-Kurses im Hochsauerland in den heute offen gelassenen riesigen Steinbrüchen oberdevonischer Gesteine, nördlich von Hallenberg am Südhang des 646 m hohen „Steinschab“ gelegen, an mehreren Feuerstellen 62 durchgeglühte, verrostete, bis 23 cm große, teils gerade, teils leicht gebogene Zimmermannsnägel, die mich an die schwarz umrandeten Gestalten der „Improvisation 19“ erinnerten, die auf dem Ölbild, wie mir schien, wie Büßer oder Betende vor einer auf der rechten Seite angedeuteten „Klagemauer“ stehen. Durch die Nägel kam ich auf die Idee, Kandinskys „Improvisation 19“ mit meinen Mitteln nachzugestalten. Um nicht den gleichen Titel zu verwenden, wählte ich „Das Jüngste Gericht“ wegen des bedrohlich wirkenden, dick schwarz umrandeten, daumenartigen Gebildes im oberen Drittel der „Improvisation 19“, eine schwarze Komponente, die, meines Wissens wenig beachtet,  Kandinsky in etlichen anderen Ölbildern verwendete („Komposition V“ (1911), “Akt“ (1910/11), „Impression III“(1911), „Dame in Moskau“ (1912), „Kleine Freuden“ (1913), „Impression 34“ (1913)).

An der „Klagemauer“, die in meinem Materialbild in die Mitte gestellt wurde, stehen rechts und links die Gestalten, mehr oder weniger zur Mauer hin geneigt oder sich ihr nähernd. Als „Mauer“-Stein verwendete ich einen glattgeschliffenen, verkieselten Tonstein, den ich bei der Suche nach Adinol, einem halbedelsteinartigen, grünen Hornfels, im Bachbett der Linspher (Messtischblatt 4917 Battenberg a. d. Eder) während des o.g. Kurses gefunden hatte. Als Äquivalent des schwarzen „Daumens“ brachte ich über der zentralen „Klagemauer“ einen äußerlich hellgrauen bis weißen Stein an, ein Fund auf einem Acker während einer bodenkundlichen Exkursion am 11.6.1993 nach  Rheinhessen zu den obermiozänen Sanden und Kiesen der Grube Faber auf dem Plateau südwestlich von Oberhilbersheim (Messtischblatt 6114 Wörrstadt). Der Stein ähnelt einem ungleichseitigen, schräg abgetrennten Vorschiff und war seitliches Teilstück eines vorrömischen bis jungsteinzeitlichen Getreide-Mahlsteins, wegen der äußeren Form  landläufig auch „Napoleonshut“ genannt. Er besteht aus Rhyolith, der auch als Paläorhyolith oder Quarzporphyr bezeichnet wird, einem ca. 27O Mio. Jahre alten magmatischen Gestein des Rotliegenden aus dem Gebiet der Nahe und der Rheinhessischen Schweiz. Bei der weißen Farbe handelt es sich um Kalkkrusten, die sich an der Oberfläche des Steins bildeten, als er Jahrtausende in einem kalkhaltigen Boden (degradierte Löss-Schwarzerde) lag. Der Stein gelangte erst in jüngerer Zeit durch Rodung, Bodenerosion und Pflügen an die Ackeroberfläche.

Ich dachte nicht daran, an die sonst gern benutzte Sexualsymbolik zurückzugreifen (eher anwendbar in Kandinskys „Jüngstes Gericht“ (1910; oben links), sondern sah das bedrohliche Schwarze als einen auf die Gestalten zukommenden Kometen. Eine Übereinstimmung in dieser Auffassung fand ich Jahre später bei G. BRUCHER (Kandinsky. Wege zur Abstraktion.- 608 S. (S.333-337); (Prestel) München 1999), der -- im übertragenen Sinne -- eine Bedrohung durch einen „Kometen“ andeutet, die allerdings in der „Improvisation 19 (Blauer Klang)“ nicht die vom Blau durchdrungenen  oder dem Blau zustrebenden „Geistsucher“ erfasst („Nur in dieser Richtung ist Erlösung zu erwarten. Denn wie die heftig aufschäumenden Blaumassen verheißen, öffnet sich dort der rechte Weg zum Geistigen“ (S. 334), sondern nur die „kleinformatigen unseligen Genossen“ (S. 335), eine Gruppe, die „nur am augenblicklichen Status ihrer Schicksalhaftigkeit interessiert ist. Da aber das Jetzt im Seienden bekanntlich gar nicht existiert, nähert sie sich nicht nur dem Abgrund, sondern auch der entzeitlichten Erstarrung, ist somit dem Einschlag des Kometen ausgesetzt“  (S.337).

Ich gehe nicht nur als Naturwissenschaftler, sondern auch als Kunstbeobachter einen Schritt weiter und behaupte, der Komet wird alle Bewohner der bedrohten Stadt treffen. Bestes Beispiel liefert der große „Geistsucher“ Kandinsky selbst. Nachdem er sich nach dem 1. Weltkrieg der Abstraktion zuwandte, geriet er in eine über 2 Jahrzehnte lange Sackgasse steriler Manieriertheit, was zeigt, dass er von der besagten „entzeitlichten Erstarrung“ auch erfasst wurde. Während  vor seinem Haus Terror und  Kriege herrschten, lebte er  in seinem Haus in einer esoterischen, kalten, außerirdisch erscheinenden, künstlichen Welt bunter geometrischer Strukturen.

Der von mir als „Komet“ verwendete Teil eines vorgeschichtlichen Getreidemahlsteins, der die rechts und links andrängenden Büßergestalten bedroht, ist Zeugnis einer vor 9 - 11.000 Jahren beginnenden Wandlung von wandernden Jägern und Sammlern zu sesshaften, Ackerbau- und Viehzucht betreibenden Stämmen und Völkern, wobei im Gefolge der Wandlung die Kämpfe und Kriege um Äcker und Weiden, Haus und Hof, Frauen und Sklaven, Viehherden und Brennholz, Wasser und Erze begann. Insofern ist der zufällig gefundene, uralte, kalkverkrustete Lesestein authentischer Beleg einer „verderbenbringenden“ (G. BRUCHER, S.335), immer stärker werdenden Bedrohung, die letztendlich beim Aufschlag des Kometen (zukünftiger ABC-Terror und ABC-Kleinkriege) nicht nur die „kleinformatigen unseligen Genossen“ (G. BRUCHER, S. 335), sondern auch die sich im blauen (= geistigen) Bereich aufhaltenden „Riesen“ (P. RAPELLI: Kandinsky.- 144 S. (S.43); (DuMont) Köln 1999)  bzw. „Geistsucher“ G. BRUCHER, S.335) treffen wird. „Da sich Blau nur im Körperbereich ausbreitet“, wie G. BRUCHER auf S. 335 ermittelt, „lässt sich folgern, dass der Katharsis-Prozess in den Köpfen der Geistsucher noch nicht ganz Fuß gefasst hat.“ Sollte  unter Katharsis (im Sinne von Aristoteles) „die Wirkung der Tragödie“ (BROCKHAUS ENZYKLOPÄDIE 1970) verstanden werden, so haben offenbar die „Geistsucher“ seit einigen tausend Jahren die Wandlung von Jägern und Sammlern zu Ackerbauern und Viehzüchtern bis heute weder begriffen noch daraus die Lehren gezogen, infolgedessen sie wohl in die Strudel der verschiedenen Untergänge mit hinein gezogen werden.