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Erläuterungen zum Bild „Hieronymus im Gehäus“
50 x 70 cm 7.5.2002
Mit
einem Zitat von A. Ehrenzweig verurteilt auch H. Kraft alle Künstler, die
bestrebt sind, ihre Werke selbst zu erklären, weil sie sich nicht wie Gläubige
der alleinseligmachenden
Kunstpsychologie unterordnen
wollen: „ Ein unreifer Künstler, der erpicht
darauf ist, über sein Werk die totale Kontrolle auszuüben, kann gar nicht
einsehen, dass ein Kunstwerk mehr enthält, als das, was er (bewusst)
hineingelegt hat. Das unabhängige Leben eines Werkes zu akzeptieren, setzt
Demut voraus“ (H. KRAFT: Dyaden zu dritt: Der (analytisch) kunstpsychologische
Ansatz.-S. 280-304 (S.283); in H. BELTING et al. (Hrsg.): Kunstgeschichte. Eine
Einführung.-375 S.; (Reimer) Berlin 1988; A. EHRENZWEIG: Ordnung im Chaos. Das
Unbekannte in der Kunst.- S. 116; (Kindler) München 1974). Bei dem vorliegenden
Materialbild scheint der interpretative Zugang leicht zu sein, da ja in den
Regalen von Fachleuten und anderer Betrachter genügend Literatur über Dürers
Hieronymus-Kupferstich in Reserve steht. Auch sollte dem Zitat
eine fürs Erste fast verblüffende
Logik eingeräumt werden: Beispielsweise
kann ein Arzt seinen Reflexhammer wie üblich einsetzen, um beim Schlag gegen
das Ligamentum patellae des Knies den Sehnenreflex zu testen, selbstverständlich
aber auch mit einem kräftigen Schlag gegen die Stirn des Patienten überprüfen,
ob dessen Reaktionsvermögen noch groß
genug ist, um den Erklärungen des Arztes folgen zu können.
Die
zentralen und links oben angebrachten Eisenteile fand ich 2002 in einem
ummauerten, fast an ein kleines römisches Kastell erinnernden Hof am
Fenchelbergweg, der zum Rheinhöhenweg-System südlich Nackenheim gehört. Er
ist ein beliebter Spazierweg, den ich
mit meinen Eltern und Brüdern, mit meiner Familie, mit Befreundeten und
Verwandten seit 1938 gegangen bin. Inmitten der Weinreben, die sich bis
Nierstein auf den braunroten Böden des Rotliegenden hinziehen, liegt das mit
einer fast mannshohen Mauer aus etwas heller braunroten Sandsteinen umgebene
Grundstück. Einst war es Abstellplatz für in Landwirtschaft und Weinbau
eingesetzte Geräte, für Drähte, Pfähle oder Abfall, und war mit 2 Toren meistens abgeschlossen. An der
westlichen Rückwand befindet sich ein
kastenförmiges Häuschen, unter dem eine Zisterne angelegt ist, die früher das
Regenwasser vom betoniertem Hof und Dach auffing, um es zur Zubereitung von Kupfervitriol-Spritzbrühe zu verwenden.
Vor Jahren hat man die Mauer ausgebessert, mit Dachziegeln belegt, Abgestelltes entfernt und den Hof mit einem
Kiesbelag versehen.
Die o.g. Eisenteile waren am 14.04.2002 Reste
einer Feuerstelle, an der offenbar wenige Tage oder Nächte zuvor gefeiert
worden war. Während des Rückwegs nach Nackenheim -- ich hatte nur das
rechteckige Eisenteil mitgenommen -- kam mir der Gedanke, ein
Hieronymus-Bild zu beginnen. Ich
bemerkte die 4 seitlichen Schraubenlöcher und dachte unterwegs daran, mit nach außen weisenden Schrauben die zur Umwelt
abgebrochenen Kontakte anzudeuten. Ich lief zurück und holte mir aus der Asche
die 4 fehlenden Holzschrauben. Wieder auf dem Weg nach Nackenheim erinnerte ich
mich der 3 an der Feuerstelle
zurückgelassenen, 40 cm langen, mit einer Mutter versehenen
Holzbalken-Verbindungschrauben, die ich für die Darstellung meiner Kinder, die
mich („Hieronymus“) aus der Ferne
beobachten, verwenden wollte. Ich ging
erneut zum Hof, holte die 3 Schrauben und machte mich auf den Heimweg. Dabei
fiel mir ein, dass in der Asche ein zylindrischer Eisenstift zurückgeblieben
war, der mir in seiner einfachen Form geeignet schien, ihn als Hieronymus zu
verwenden. Also musste ich ein 3.Mal zurück, um den Stift zu holen.
Der rechts angebrachte, den Rahmen überragende Eisenstab befand sich an einem zweiten, von
1938 bis heute gern benutzten Ausflugsweg, der von der Nackenheimer
Kapselfabrik durch das Eichelsbachtal über die Gewann „Teufelsloch“ nach Westen
zum „Königsstuhl“ führt, eine landwirtschaftlich genutzte, 175 m hohe Anhöhe,
ein ehemaliger Versammlungsort, an dem am 8.10.1024 Konrad II. zum deutschen König gewählt worden
war. Der Eisenstab stand, wie ich mich erinnern kann, seit 1938 am westlichen
Ende der Weinberge in einem Gebüsch neben einem schwarzgestrichenen
Holzhäuschen, auch während der Kriegs- und Nachkriegszeit 1939-47, als ich fast
täglich im Gelände Hühner-, Gänse- oder Hasenfutter holte, und unter dem ich im
Krieg häufig bei Flak-Beschuss während der Bomber- und Jabo-Angriffe gegen
Städte, Dörfer, Industrien, Bahnanlagen, Brücken, Züge, Pferdefuhrwerke und auf
Äckern oder in Weinbergen Arbeitende Schutz suchte. Am 8.11.1944 musste
auf dem Acker zwischen dem (heute
noch vorhandenen) Holzhäuschen und dem Königsstuhl ein amerikanischer 4motoriger
B17-Bomber, „Fliegende Festung“ genannt, während heftigen Flakbeschusses
notlanden. Als damals Zwölfjähriger war
ich sofort nach der Landung dort, mit dem Gedanken, irgendetwas Brauch- oder
Tauschbares zu organisieren (s.
auch S.178+179 mit Abb.58 in: D.BUSCH: Der Luftkrieg im Raum
Mainz während des Zweiten Weltkrieges 1939 - 1945.- 402 S.;(v. Hase &.Koehler)
Mainz 1988). Der genaue Landeplatz geriet im Laufe der Zeit in Vergessenheit,
aber nach jahrelanger Suche fand ich ihn am 19.08.2002 dank meiner
bodenkundlichen Kenntnisse durch die Tatsache wieder, dass bei der Bruchlandung
der schwarze Unterboden der dort
vorkommenden degradierten Schwarzerde an die Oberfläche geschürft
worden war. Anschließend barg ich bis
Ende 2006, teilweise mittels eines Metalldetektors, bei unzähligen Begehungen
der gesamten Ackerfläche (6 ha; Besitzer L. Dörrschuck, Lörzweiler) hunderte
Flak-Splitter sowie Munitions- und Flugzeugreste (Metallteile, Schrauben, 12,7- mm-MG-Kupfermantel-Geschosse und deren Hülsen, Plexiglas-Reste, Lämpchen
u.v.a.).
Mit Hilfe des 111 cm langen Eisenstabs konnte ich nun mein
Hauptanliegen wahrmachen, mich als „Hieronymus im Gehäus“ darzustellen,
verbunden mit den seit Jahrzehnten vertrauten Landschaften der
Nackenheimer Roten Berge, des Eichelsbachtals, Teufelslochs und Königstuhls,
wobei der Stab mit seinen 3 großen Löchern („Fehlstellen“)
dazu dienen sollte, mich an Menschen zu erinnern, die mir fehlen, also an jüngeren Bruder und Eltern, und mit
seinen 65 kleinen an die vielen
Verwandten, Befreundeten und Bekannten, die inzwischen auf diese oder jene Art
aus dem Gesichtskreis verschwunden sind. „Hieronymus“ hat sich in seine Klause
zurückgezogen und widmet sich seinen Studien und Schriften, gerüstet mit
Wissen: „In der wachen Kraft und der Weite der Fragen wird eine neue Würde
sichtbar. Sie besteht nicht darin, dass der Mensch durch die Teilhabe an
überlegenen Mächten einen privilegierten Status gewinnt, sondern darin, dass er
im Durchdenken der Welt voller Zeichen sich als Subjekt mit unendlichem
Bewusstsein innewird und im Wissen der Grenzen das Mögliche schafft. Die
Melancholie behält die Erfahrung ein, dass es aus der Vieldeutigkeit der
Zeichen und der Endlichkeit des Könnens keine Erlösung gibt. Leben ohne
>Gehäus< und ohne >Rüstung< ist der schwierigere, schmerzhafte Weg“
(H. BÖHME: Albrecht Dürer. Melancolia I. Im Labyrinth der Deutung.- Tb 3958, 88
S. (S 73); (Fischer) Frankfurt a.M. 1991).
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