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Erläuterungen zum Bild „Gregor Samsa (Die Verwandlung)“
48 x 83 cm 27.7.2001
Die
beiden gelbbraunen Plastikrohre mit ihren schweren Eisenringen an beiden Enden holte ich am 31.12.2000 aus einem Versteck nahe
Rüdesheim nach Hause. Ich hatte sie Jahre zuvor in einem Gebüsch einer
Betonwege-Gabelung, in den Weinbergen nordwestlich Rüdesheim bei 210 m über NN
gelegen, gefunden und dort gut getarnt zurückgelassen. Vermutlich sind es
Maschinenteile aus einer Wein- oder Sektkellerei oder einer Weinbrennerei. Sie
waren teilweise mit einer ölähnlichen Flüssigkeit gefüllt, so dass ich sie in
der Hoffnung, Regen oder Schnee könnten sie reinigen, zwischen den Hecken
liegen ließ. Ich habe bis heute nicht herausgefunden, welchem Zweck die Rohre
dienten. Sie schienen mir damals besonders gut als Gegenstände geeignet, um das
uns umgebende Alltägliche und
Gewöhnliche, gelegentlich auch Ungewöhnliche, in vielen Fällen aber völlig
Widersinnige, Unverständliche und Unerklärliche, kurz gesagt das Absurde, zu
charakterisieren.
Mit der Ausgestaltung des Bildes musste ich
lange warten, weil ich kein geeignetes Objekt für die Darstellung des Käfers
fand, bis ich in KAFKAs Erzählung „Hochzeitsvorbereitungen auf dem Lande“(Tb
Bd. 6, 359 S. (S. 10) (Fischer) Frankfurt a.M. 1976) auf die Stelle stieß: „Ich
habe, wie ich im Bett liege, die Gestalt eines großen Käfers, eines
Hirschkäfers oder Maikäfers, glaube ich“, wodurch nun das Problem gelöst war. Lange
zuvor hatte ich auf dem Wiesbadener
Trödelmarkt vor dem Möbelhaus Mann-Mobilia einen rot lackierten Hirschkäfer in
Form eines gusseisernen Stiefelknechts erstanden, ungewöhnlich billig und
zufällig neben einem Rochen-Sägezahn liegend, den ich für ein anderes
Materialbild verwenden wollte. Dem für unsere Breiten auffälligen Hirschkäfer (Lucanus
cervus) war ich schon früher begegnet. Während meiner Diplom-
und Doktorarbeit (1956-64) hatte ich
ihn in den Eichenwäldern nordöstlich
Stauf (Nordpfalz) öfters bewundern können, auch später, bei bodenkundlichen
Geländearbeiten zwischen 1968-71 (W.
PLASS: Erl. Bodenkte. Hessen 1:25.000, Bl. 5917 Kelsterbach, 206 S., 1 farb.
Kte.; Wiesbaden 1972) sowie anschließend bei Kursen, Exkursionen und
Diplomarbeiten in den Wäldern um den Frankfurter Flughafen. Vier eingetrocknete, vermutlich von Vögeln
oder Hornissen getötete Hirschkäfer goss ich in einen Kunstharzblock ein.
Viele, vor allem die braunen Chitinpanzer des Kopfteils mit Zangen, lagen
alljährlich an den südöstlichen Rändern des Mönchwalds zwischen Kelsterbach und
Flughafen. Auch wenn der Käfer in der Erzählung „Die Verwandlung“ offenbar kein
Hirschkäfer war, so hatte ich jetzt doch die Möglichkeit, mit Hilfe des
Hirschkäfer-Stiefelknechts das mir vorschwebende Thema umzusetzen.
Der Käfer in KAFKAs Erzählung erinnert auch an
eigene Situationen: „Gregor Samsas Gedanken beim Aufwachen verraten seine
Probleme. Er leidet unter dem Zwang, sich ständig als gut funktionierender
Angestellter bewähren zu müssen. Außerdem ist er Geldgeber der Familie, die
seine Gutmütigkeit ausnutzt. Die Verwandlung macht seine verdrängten Wünsche
offenbar. Er will sich aus allen sozialen Bindungen zurückziehen, und er
erfüllt sich den Wunsch nach Auflehnung gegen die Mächte, die über ihn
verfügen.....“(H.MÜLLER: Franz Kafka. Leben. Werk. Wirkung.- Hermes Handlexikon,
174 S. (S. 142); (Econ) Düsseldorf 1985). Die Auflehnung gegen solche Mächte,
nicht nur gegen Unangenehmes, doch in seinen Mechanismen, Gründen und Zwängen
Verstehbares, sondern vor allem gegen das Unerwartete, Absonderliche, Groteske
und Unverständliche, schlichtweg gegen das Absurde, ist nach wie vor für
andere wie für mich Gegenstand häufiger
Belastungen, wobei -- nicht wie erwartet -- nicht die üblichen Steuerbescheide,
Nachbarschaftsprobleme, Autounfälle und Gebrauchsanleitungen elektronischer
Geräte gemeint sind. Beispielsweise bricht auch das Absurde mit Macht
herein, wenn Freunde und Freundinnen, Bekannte, Familienangehörige oder
andere Verwandte bei Besuchen in der Wohnung kein Wort über mehrere Meter lange
Bücher- und Bilderwände verlieren, oder sprachlos, nicht durch Erstaunen oder Bewunderung,
sondern durch den Mangel an Kommunikationsfähigkeit, an hunderten von Steinen,
Erinnerungsstücken, Fundsachen und Artefakten, die an Wänden hängen oder vor
den Büchern in Regalen stehen, vorübergehen, oder weder nach Befinden,
Interessen, Vorhaben, Bücherkäufen, Bildentwürfen oder letztentstanden
Materialbildern fragen, und dass sich Paketboten, Briefträger, Vertreter,
Nachbarn oder Handwerker eher für Kunst und Bücher interessieren als die oben
Genannten.
Verständnislos,
aber hoffnungsvoll wendet man sich beim Lesen, Wandern, Gartenarbeiten, Kochen,
Backen, Hausputz oder Bildermachen einer der 6 Deutungen H. MÜLLERs zu (s. S.
144, s. o.): „Die Verwandlung ist Ausdruck einer positiven Entwicklung. Der
Mensch befreit sich aus der mechanischen Welt der Geschäfte und der Familie und
endet im Durchbruch zum wahren Sein.“ Im Kampf zwischen Bürgerlichkeit und Außergewöhnlichem
hatte sich KAFKA für Letzteres entschieden, sich von einem
Versicherungsjuristen in einen der bedeutendsten Erzähler gewandelt, sich dabei
aber unter Verzicht auf die üblichen Annehmlichkeiten
einer bürgerlichen Existenz und durch völlige geistige und körperliche
Überforderung einer tödlichen Erkrankung ausgeliefert. Die Verwandlung Gregor
Samsas war daher Grund genug, mir ein Materialbild als Warnung zu gestalten, die
Gefahren eigener Werke im Licht unerbittlicher Konkurrenz zu den Naturgesetzen
(von manchen „die Schöpfung“ genannt) täglich zu überdenken, nicht zu überhören oder zu übersehen. Denn
ich bin mir sicher: „Die Schöpfung“ mag keine Konkurrenz, anders formuliert:
Sie mag keine Künstler, die sich zu sehr oder ganz der Kunst zuwenden.
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