Erläuterungen zum Bild „Friedrich der Grosse nach der Schlacht bei Leuthen“

   57 x 83 cm     27.01.1990

Das Bild „Elefantenhaus mit Ausblick“ steht an der äußeren rechten Seite, das hier erläuterte an der äußeren linken Seite der Bildergruppe „Santiago“. Wie schon an anderer Stelle betont, geht es auch hier um Bo und um die Bewältigung einer Trennung, die sich über eine lange Zeitstrecke hinzog und ähnlich wie das Leben Friedrich II. ein stetes Auf und Ab von Niederlagen und Siegen war, daher die Zuwendung zu der legendären Gestalt und ihre Darstellung mit meinen Materialmitteln. “Der Krieg geht morgen weiter. Der Untertitel lautet: 'Die Kunst zu überleben.' Nichts anderes als diese Kunst hat Friedrich sieben Jahre lang geübt, in der er schließlich Meister wurde, Meister des Überdauerns seiner Leiden. Er hat nicht 'gesiegt,..., er hat vielmehr 'überlebt'. Warum hat er überlebt? Weil er nicht bereit war, die Vision, die ihm Leben bedeutete, zu verleugnen“ ((W. KOLLO: Der Krieg geht morgen weiter.- 589 S. (S.17); (Zeitbuch) Berlin 1970).

Die Ergänzung des Bildtitels „nach der Schlacht bei Leuthen“ kommt einmal dadurch zustande, dass der König am 8.12.1757 mit ca. 33.000 eigenen Truppen gegen eine 2fache österreichische Übermacht (in der Literatur werden noch andere Zahlen angeboten: 32-39.000 gegen 65-90.000) mit Hilfe der Schiefen Schlachtordnung, die ein halbes Jahr zuvor bei Kolin (18.6.1757) missglückt war, bei Leuthen gewonnen hatte, zunächst eine entscheidende Wende seit Kriegsbeginn 1740. Dass gerade diese Schlacht ausgewählt wurde, lag an einer unüblichen Anrede von Bo, die während eines Bodenchemie-Praktikums im Winter 1985/86 im Labor die Frage an mich, den Leiter des Kurses, richtete: „Leute, was sollen wir jetzt denn machen?“

Ich habe mich mehrere Jahre mit Friedrich II. befasst und versucht, den unter Historikern wie Laien umstrittenen König von Preußen mit meinen Mitteln darzustellen. Einmal durch das innere stabile Eisenband-Gerüst, das allerdings einige nach innen gerichtete Nägel zeigt, Ausdruck von Selbstzweifeln und Selbstvorwürfen, was zum Beispiel Streitigkeiten mit dem Vater, seiner Frau und dem Bruder Heinrich, die Mitschuld am Tod seines Freundes Katte, die Annexion Schlesiens und den Beschuss von Dresden, die hohen Opfer unter den Truppen und der Bevölkerung,  zum anderen die Beschäftigung mit Konzerten und Kompositionen, Dichtkunst, Briefverkehr, französischer Philosophie, Literatur und Sprache und die dadurch entstandenen Vernachlässigungen vor der Amtsübernahme und später während der Regierungsgeschäfte angeht.

In der Mitte des Eisenbandgerüsts sind als Kontrast zum bereits stark verrosteten Umriss der königlichen Gestalt 2 senkrechte goldfarbene Leisten angebracht, welche sowohl die Achtung und Distanz vor dem Regenten als auch Pracht,  Würde und Verantwortung des Amtes deutlich machen sollen. Die beiden zu Ehrfurcht einflößendem Hintergrund mutierten Messingleisten stammen aus dem Treppenhaus meiner Wohnung. Ich konnte sie, bevor sie als Stoßleisten der Treppenstufen ausgedient hatten, nach dem Umbau sicherstellen und als bevorzugte „Reliquien“, über die Bo und ich über 4 Jahre lang hinweggeschritten sind, verwenden.  Die Bleiplatten sind Reste einer Umgestaltung des Hausdachs und zahlreicher Mauer-, Dach- und Balkonvorsprünge und wegen ihres Gewichts Symbole für die niederdrückende Schwere erlittener Niederlagen während des 1. und 2. Schlesischen und des Siebenjährigen Krieges, vor allem nach dem Desaster von Kunersdorf (12.8.1759), über das der König an seinen Außenminister Graf Finckenstein nach Berlin berichtete: „Es ist ein grausamer Fehlschlag, den ich nicht überleben werde; die Folgen der Schlacht werden schlimmer sein als die Schlacht selbst. Ich habe keine Ressourcen mehr und glaube, offen gestanden, dass alles verloren ist“ (CH. DUFFY: Friedrich der Große. Ein Soldatenleben.- 510 S. (S. 271); (Weltbild) Augsburg 1995). Die rostigen Sägeblätter wurden im Laufe der Jahre bei den üblichen Wanderungen und Fahrten an Feuerstellen, auf Müllhalden und Deponien der näheren und weiteren Umgebung gesammelt. Nach außen gerichtet, sind sie -- je nach Lage der Dinge -- Ausdruck von Aggressionen und Defensiven seit dem unbedachten Einmarsch in Schlesien 1740. 2 Sägeblätter sind nach innen gerichtet, da Friedrich II. (wie jeder weiß, der sich mit ihm beschäftigt ), reichlich genug Auseinandersetzungen mit der eigenen Familie, mit Ministern, Armeeführern, Generälen und anderen Landsleuten hatte.

Der die Gestalt Friedrich des Großen nach oben abschließende Dreispitz sollte natürlich, wie geschichtliche Überlieferungen bezeugen, schwarz gefärbt sein und nicht rot. Entscheidend war jedoch zunächst einmal das dreieckförmige Eisenblech, ein objet trouvé von einer mir heute nicht mehr erinnerlichen Stelle, das mich dazu anregte, den mir aus Kindheit und Jugend durch das Zigarettenbilder-Album „Ruhmesblätter Deutscher Geschichte“ (ECKSTEIN-HALPAUS GMBH.- 30 S., 252 farbige Bilder; Dresden, o.J.) bekannten und bewunderten Preußenkönig darzustellen, jedoch nicht aus Gründen einer Heldenverehrung, wie sie mir vor 1945 in Schule und Jungvolk nahegebracht worden war. Mich beeindruckte vielmehr seine Haltung, Katastrophen zu überstehen, wie er sie nach  Kolin, Hochkirch, Kunersdorf oder Maxen vorgelebt hatte, und sein Wille, sich neben den Amtspflichten noch der Musik (J.G. und K.H. Graun, C.Ph.E. Bach, J.J. Quantz), der französischen Sprache und Philosophie (F.M. Voltaire) und der Garten- und Baukunst (G.W. von Knobelsdorff), der Lyrik und einer ausgiebigen Briefkorrespondenz zu widmen. Dass das gefundene Eisenblechdreieck bereits rot lackiert war, passte außerdem in die Vorstellung, in allen 7 Bildern der Gruppe „Santiago“ bei einigen wichtigen Gegenständen die Farben Rot und Gold zu verwenden.

Viel wichtiger schien mir die symbolische, leider sehr ambivalente Bedeutung der Farbe Rot zu sein, wobei Farbabstufungen zu beachten sind: Macht, Kraft, Gewalt, Kampf, Krieg, Rebellion und Revolution, aber auch Freiheit, Gleichheit, Gerechtigkeit, Liebe und Nächstenliebe. Die Widersprüchlichkeit und Fragwürdigkeit der Rotsymbolik wird deutlich, wenn man bedenkt, dass alle Rebellionen, Reformationen und Revolutionen mit Mord, Totschlag, Brand, Raub, Ausbeutung und Verfolgung verbunden sind,  aber auch jede andere Farbe hat „Dreck am Stecken“. Im Falle des Preußenkönigs könnte man die kriegerischen Auseinandersetzungen einmal großzügig übergehen und eher an seine Reformen (Abschaffung der Folter) und Förderungen von Land- und Volkswirtschaft, Kunst, Schulwesen, Landrecht, Bodenmelioration, Ansiedlungen, Sumpftrockenlegung (Oderbruch u.a.) und Glaubensfreiheit denken. Man erkennt auf allen Ebenen: „Rot ist der Drang, Wirkungen zu erzielen, Erfolg zu haben“ (M. LÜSCHER 1972, zitiert bei I. RIEDEL, S.21, s. dort).

So weit, so gut, es gilt aber auch ganz allgemein: „Rot ist eben nicht nur Wärmestrahlung, sondern >>Rot<< ist zugleich alles, was die Menschheit mit rotem Blut oder mit der roten Glut des Feuers erfahren kann“ (I. RIEDEL: Farben in Religion, Gesellschaft, Kunst und Psychotherapie.- 190 S (S.24); (Kreuz) Stuttgart 1991). Dazu fand schon Friedrich der Große am 4.9.1758 die treffende Formulierung: “Ein schöner Ruhm, Städte   eingeäschert, Dörfer verbrannt und Einwohner unglücklich gemacht zu haben! Sprechen wir nicht mehr davon. Mir sträuben sich die Haare“ (H. de CATT: Die Tagebücher 1758-1760.-  184 S. (S.67); (Deutscher Kunstverlag) München, Berlin 1986). Zählt man nicht alle Toten, sondern  nur die Soldaten (Preußen, Österreicher, Sachsen, Russen, Franzosen,  Reichstruppen) zusammen,  so sind es 353.454, die während der Kriege von 1740 - 1763 gefallen sind (G. DORN, J. ENGELMANN: Die Schlachten Friedrichs des Großen.- Führung. Verlauf. Gefechts-Szenen. Gliederungen. Karten.- 176 S. (S. 5); (Bechtermünz) Augsburg 1997). Sie mussten  mit dem Leben bezahlen, damit Friedrich II. anschließend und bis heute durchgängig „der Große“ genannt werden konnte. Vergleichsweise gering nimmt sich  die Zahl dieser Toten aus, hält man die Megatötungen im 20. Jahrhundert durch Stalin (ca. 42 Mio.), Mao Tse-tung (ca. 38 Mio.) und Hitler (ca. 21 Mio.) dagegen (G. HEINSOHN: Lexikon der Völkermorde.- rororo 22338, 469 S.;(Rowohlt) Reinbek bei Hamburg 1999), wobei durch Mao vielleicht 58 Mio. (J. BECKER: Hungry Ghosts; Mao's Secret Famine.- (The Free Press) New York 1998) oder sogar 70 Mio. Menschen („Die großen Diktatoren“:ZDF-Sendung am 14.11.2006; 20,15-21,00(*); JUNG CHANG, J. HALLIDAY: Mao.- 975 S. (S.17); (Blessing) München 2005) durch den „Großen Lehrer, Großen Steuermann, Großen Vorsitzenden“, wie sich Mao selbst nannte, umgebracht wurden. Bestsellerautorin und MAO-Biografin JUNG CHANG  meinte dazu (*): „Er war die rote Sonne in unseren Herzen.“[Es stört offensichtlich auch niemanden, dass in dem bevölkerungsreichsten Land (1,331 Milliarden) auf den Geldscheinen von 2-100 Yuán Mao, der größte Massenmörder aller Zeiten, abgebildet ist].

Gerade das letzte Beispiel mit der Farbe Rot offenbart erschreckend den abstrusen Widersinn der Anwendung von Farbsymboliken und zeigt, dass in der Kunst der Einsatz einer Farbe ähnlich dem Gebrauch chinesischer Schriftzeichen zu behandeln ist, was heißt, dass der Künstler mit Hilfe der Sprache betonen muss, welches Ereignis oder welches Verhalten hervorgehoben werden sollte, und die Bedeutung  nur im Umfeld begleitender Erläuterungen oder Darstellungen verständlich wird, wobei der Grenzfluss zu Esoterik, Okkultismus oder Sektiererei nur schmal und flach ist oder sogar manchmal trocken fällt. Ich denke z.B. an die monströsen (3-5 m), fast monochromen Rotbilder eines BARNETT NEWMAN, in denen das Rot nicht auf das Blut von Millionen in Eroberungs- und Glaubenskriegen Erschlagener, Geköpfter, Gehängter, Geräderter, Gevierteilter, Vergaster, Erschossener, Verschütteter und Verbrannter abzielt, sondern wie eh und je im Geist des Untertanen auf das „Erhabene“. Diesmal sind  aber nicht Adel oder Klerus, sondern ist die Kunst gemeint: “Nach Auffassung Newmans ist das Erhabene (> the sublime <) die höchste Bestimmung der Kunst.“ „...der Beschauer ist thematisiert als der im Anblick der erhabenen Erscheinung des Bildes seine eigene Erfahrung Erfahrende und dadurch Erhobene“ (M. IMDAHL: Barnett Newman, Who's afraid of Red, Yellow and Blue III.- S. 80-97 (S. 85) in: W.BRASSAT, H. KOHLE (Hrsg.):Methoden-Reader Kunstgeschichte.- 192 S.;(Deubner) Köln 2003).

Die rote Farbe des Dreispitzes steht in dem hier besprochenen Materialbild also nicht für guerre, grandeur und gloire, sondern für réforme, réflexion und réadaption in Denken und Handeln.:“Farben sind Strahlungskräfte“, schreibt  J. ITTEN 1962 (Zitat in I. RIEDEL, S.7), „Energien, die auf uns in positiver oder negativer Weise einwirken, ob wir uns dessen bewusst sind oder nicht.“So hoffte ich 1990 mit dem Rot des Dreispitzes eine réadaption functionelle, also eine Wiedergewinnung der Funktionsfähigkeit von Geist und Körper, zu erreichen, auch wenn der erfahrenere Friedrich der Große schon lange zuvor, am 26.8.1758, gemeint hatte: „Ein General kann an alles denken, und Sie sehen, es geht doch nicht so, wie er gedacht hat“ (H. de Catt: Die Tagebücher, S.63, s. o.), eine wenig ermunternde Feststellung (was wohl daran lag, dass er immer einen schwarzen Dreispitz trug), die sich allerdings, was meine Zeit von 1989-90 angeht, bewahrheitet hatte.