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Erläuterungen zum Bild „Arbeite im Weinberg des Herrn“
31,5 x 50 cm 21.6.1995
Ende
1994 begann ich, mich mehr dem Wandern zuzuwenden (s. Erläuterungen zu „Wenn
ich stark bin“), einmal aus sportlichen Gründen, zum anderen, um Verluste und
Niederlagen abzuarbeiten, und drittens, um mehr Objekte für meine
Materialbilder zu finden. Obwohl ich in meiner Kindheit 6 Jahre in Oberhessen zwischen Äckern, Feldern und Wäldern gelebt hatte, bevorzugte ich nun die
Weinbergslandschaften Rheinhessens, der Nordpfalz, des Nahegebiets, Rheingaus
und Mittelrheins. Der Bildtitel „Arbeite im Weinberg des Herrn“ ist daraus
abzuleiten und rein zweckmäßig dem Evangelium nach MATTHÄUS (Kap. 20, V.1-16)
entliehen, um Außenstehende schnell in das Thema einzuführen, was aber nicht
besagen soll, dass ich mich wie auch immer irgend einer Kirche um einen
Nanometer genähert hätte.
Viele
Weindörfer haben, geschichtlich bedingt, überwiegend katholische Bevölkerung,
verbunden mit häufigem Glockenläuten und vielen Wegkreuzen, Mahn-, Gedenk- und
Gebetsstätten in den Weinbergen, die mich bedauerlicherweise und schmerzhaft
--da ich mich von Jugend an mit Geschichte befasst und den 2. Weltkrieg
überlebt habe-- immer aufs Neue an
furchtbare Notzeiten erinnern,
z.B. der Inquisition und der Kreuzzüge,
an die Vertreibung und Verfolgung der Katharer(Albigenser), Waldenser,
Hugenotten, Juden, Indianer, Ketzer, Weise Frauen und Hebammen, an die Batholomäusnacht (
4.8.1572), an die Brandschatzung Magdeburgs (10.-20.5.1631), die Verbrennung von Jan Hus (6.7.1415) , Giordano Bruno
(17.2.1600) und der Hexen, an die Massaker von Béziers (1208/9) und Montségur
(16.3.1244), an den Katharern, an den Juden während des 1. Kreuzzugs (1096-99)
in rheinischen Städten (z.B. Worms und Mainz), an die Ausweisung der Juden in
Frankreich (1282-1306) , in Spanien (1492) und ihre Flucht aus Polen nach 1946
(G. HEINSOHN: Lexikon der Völkermorde.- aktuell 22338, 369 S.; (Rowohlt) 1990);
O. v. GUERICKE: Die Belagerung, Eroberung und Zerstörung der Stadt Magdeburg am
16.-20.Mai 1631.- Voigtländers Quellenbücher, Bd.6, 83 S.;(Voigtländer 1911);
H. GUNDOLF: Massenmord.- Heyne-Buch 7158, 427 S.; (Heyne) München 1981);
BROCKHAUS ENZYKLOPÄDIE (1966-1976).
Überblättert
man in den Geschichtsbüchern diese traumatischen Zeiten, überwiegen die
Vorteile der Weinberg-Landschaften mit häufigen Sommertagen, vielen
Feuerstellen der Winzer mit objets trouvés an Weg-, Mauer- und Heckenrändern
und ausgezeichneten Ausblicken, alles Vorteile, die die Wälder des Taunus, des
Hunsrücks und der Nordpfalz nicht bieten. Im Zuge der Aufforstungen des 19.
Jahrhunderts waren die hochgelegenen Weiden und Wiesen mit Bäumen bepflanzt
worden, vor allem mit Fichten (in der Nordpfalz auch mit Kiefern), also
Baumarten, die noch am ehesten mit den
über Jahrtausende ausgebeuteten und deshalb völlig an Nährstoffen
verarmten Standorten zurechtkamen, was zur Folge hatte, dass man in den ehemals beweideten Hochlagen
der genannten Mittelgebirge kaum
baumfreie Stellen mit schöner Aussicht
findet, und mich auch veranlasste, überwiegend in den Weinbergen zu
wandern.
Ein
weiterer schwerwiegender Grund war, dass ich 20 Jahre lang (1938-58) in
Rheinhessen gelebt (Nackenheim, Dexheim, Mainz) und in den Schul- und
Semesterferien in den Weinbergen als Traubenleser, Butten- und Spritzenträger,
Weinbergsroder und Weinbergsschütze gearbeitet hatte. Für meine erste selbst
verdiente Uhr, die ich heute noch besitze („EPPA, wasserdicht, stoßgesichert,
16 Rubis, Antimagnetic“.- Die erste überhaupt hatte ich 1946 in Nackenheim
während der französischen Besatzung auf der Bleichwiese neben dem Garten
unseres Schulhauses gefunden) musste ich im Alter von 16 Jahren (1948, nach der
Währungsreform vom 21.6.) 100 Stunden für 68 Pfennig/h in den Weinbergen arbeiten. Durch diese Tätigkeiten entstand eine Verbundenheit
mit Weinbergslandschaften, die ich bis heute bewahrt habe, etwa im Sinne von
GOETHE:
„Zu des Rheins gestreckten Hügeln,
Hochgesegneten Gebreiten,
Auen, die den Fluss bespiegeln,
Weingeschmückten Landesweiten,
Möget mit Gedankenflügeln
Ihr den treuen Freund begleiten.“
(J. W. v. GOETHE: Inschriften,
Denk- und Sendeblätter 82; in R.DOBEL (Hrsg.): Lexikon der Goethe Zitate.- 660
S., Zitat 767,1-5; (Weltbild) Augsburg 1991).
Bei
den Wanderungen im Rheingau fand ich zwischen Rüdesheim und Lorch in der Zeit
zwischen dem 23.4. und 25.5.1994 fast 100 teils fast neue, teil verrostete
eiserne Spanner, die dazu dienten, Drähte
der Rebenzeilen nachzuspannen.
Ich suchte mir die 5 passendsten aus (die Zahl 5 steht für „Familie“) und
montierte sie im oberen Teil des Bildes auf die Holzunterlage. Sie sind
Ausdruck der vielen Wanderungen auf den Weinbergswegen, oft auch bergauf oder
bergab zwischen den Zeilen, um Strecken
abzukürzen. Bei dem darunter angebrachten verrosteten Eisenband, an seiner
langen flachen Seite mit Hilfe 3er breiter Nägel (die Zahl 3 ist Symbol für meine 3 Kinder) an
der Holztafel befestigt, ist das obere Drittel um 90° verdreht und mit einem
augenähnlichen Loch versehen, so dass die „Figur“, von der Seite gesehen, an
einen frühgotischen oder ikonenhaften Christuskorpus erinnert, an dem Arme und
Beine fehlen bzw. nicht sichtbar sind. „In Wirklichkeit“ kann man aber
annehmen, dass es sich um einen in
sackartigen braunen Kattun gekleideten
Eremiten handelt, der in Ruhe die Landschaft zu beobachten und/oder zu
beurteilen scheint und darüber nachdenkt, was als Nächstes getan werden sollte.
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